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Es war der Gärtner

Es war der Gärtner.

Natürlich, der war es ja immer. Manchmal auch der Butler, der grausige Morde verübt, während der Sturm den Landregen gegen die Fenster des düsteren Herrenhauses peitscht. Kurz darauf klicken die Handschellen.

Der Fernsehzuschauer, und natürlich auch die Zuschauerin, lehnt sich zufrieden in den Sessel zurück. Der Böse ist gefasst, das Gute hat für Gerechtigkeit gesorgt. Der Abspann ist noch nicht beendet, da ist der Krimi bereits vergessen.

Doch im wirklichen Leben beginnt der entscheidende Teil des Strafverfahrens erst jetzt. Denn der Gerechtigkeit ist nicht Genüge getan (sofern das überhaupt geht; das ist eine ganz andere Frage), bevor nicht der wahre Täter vor Gericht gestellt und verurteilt wurde.

War also tatsächlich der Gärtner der Täter? Was geschieht mit ihm, wenn er es war? Und was, falls er es nicht war?


Lassen Sie uns den Kalender einige Tage zurückblättern. Wir befinden uns in Deutschland, es ist herbstlich kühl und in ihrer Villa verstirbt eine alte Dame.

Der Notarzt stellt den Tod fest. Ihm fallen Rötungen und Schwellungen der Schleimhäute auf, die er sich nicht erklären kann. Deshalb bescheinigt er keinen natürlichen Tod. Die kriminalistische Maschinerie rollt an.


Was nun kommt, ist aus zahlreichen Krimis bekannt. Die Polizei schaut vorbei, im echten Leben allerdings mit Spurensicherungsanzügen versehen und in enger Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft, die ab jetzt Herrin des Verfahrens ist.

Der Rechtsmediziner (der so heißt und nicht etwa Pathologe) bekommt die Leiche auf den Sektionstisch und gewinnt dort Erkenntnisse über die Todesursache durch eine äußere Leichenschau, durch die Eröffnung der Leiche sowie durch chemische Untersuchungen.

Die äußerlichen Merkmale auf der Leiche deuten in unserem Fall auf eine mögliche Vergiftung hin. Es ist Sache der chemisch-toxikologischen Untersuchung, hier Klarheit zu schaffen.

Eine Weile später – die Dauer hängt von zahlreichen Faktoren ab – bekommt die Kriminalpolizei den Befund auf den Tisch.


»Ein botanischer Giftstoff«, informiert das Labor vorab. Die genaue Bestimmung stehe noch aus, aber das könne man schon mit Sicherheit sagen.

»Na also«, denkt der Leiter der Ermittlungen. »Es ist eben doch immer der Gärtner.«

Im Krimi eilt nun der Hauptkommissar zur Villa, stellt dort den Gärtner und verkündet groß: »Ich verhafte Sie wegen des Mordes an Ihrer Arbeitgeberin.«

Doch halt!

Hier verbergen sich gleich zwei Fehler, die so eklatant sind, dass Sie ab heute mühelos erkennen werden, ob ein Drehbuchautor sauber recherchiert hat – oder eben nicht.

Zum einen wird niemand wegen eines Mordes verhaftet. Denn ob es sich bei der Tötung eines Menschen um einen Mord, einen Totschlag oder vielleicht sogar nur um eine Körperverletzung mit Todesfolge handelt, ist eine rechtliche Würdigung, die im Rahmen der Anklage der Staatsanwaltschaft obliegt und endgültig erst am Ende des Strafprozesses beantwortet werden wird.

Da es zugegebenermaßen griffiger ist, im fiktiven Krimi von »Mord« zu reden – wer will schon mitfiebern, wie die Polizei einen Körperverletzer jagt? – soll in diesem Punkt eine gewisse Großzügigkeit walten.

Zum anderen stolpert der oder die juristisch Kundige in der oben beschriebenen Szene über die Festnahme. Denn diese ist in aller cineastischen Regel keine Verhaftung. Zu dieser wird sie erst dann, wenn ein Haftbefehl vorliegt.

Aus Gründen der Dramatik stürzen unsere Ermittler meist sofort mit den frisch erworbenen Erkenntnissen los, um den Täter möglichst schnell dingfest zu machen – für einen Haftbefehl bleibt da wenig Zeit. Den Haftbefehl gibt es später. Dann nämlich, wenn der Richter prüft, ob die gesetzlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind, und Untersuchungshaft anordnet. Dann – und nur dann – ist unser Gärtner verhaftet.


Der arme Kerl sitzt nun in irgendeinem Polizeigewahrsam. Ihm wurde eröffnet, dass er nicht mehr Zeuge, sondern Beschuldigter sei.

Rechtlich bringt dieser Statuswechsel Hinweispflichten der Beamten mit sich, die zwingend einzuhalten sind, wenn es nicht zu einem Verwertungsverbot der Aussage kommen soll. Vor allem bedeutet der neue Status, dass unser Gärtner ab jetzt tunlichst nichts mehr sagen sollte, bis er sich mit seinem Strafverteidiger beraten hat.

Auf seinen Wunsch hin wird ein Verteidiger informiert. Falls weder der Beschuldigte noch seine Familie einen Verteidiger nennen kann, wird (irgend)ein Verteidiger angerufen. Als Service der Anwaltschaft existieren verschiedene strafrechtliche Notdienste.

Unser Gärtner kennt glücklicherweise einen Anwalt, dem er vertraut und der im Strafrecht bewandert ist. Der Verteidiger erscheint, unser Gärtner unterzeichnet eine Vollmacht und – nicht unwichtig für beide Seiten – man spricht über die anfallenden Anwaltsgebühren. Denn solange keine Anklage erhoben wurde – wir uns juristisch gesehen im Vorverfahren befinden – erstattet niemand die Anwaltskosten, selbst wenn sich später die Unschuld des Gärtners herausstellen sollte.


Am nächsten Tag treffen sich die Beteiligten zum ersten Mal vor Gericht – der Vorführtermin steht an. In ihm geht es darum, ob der Gärtner in Haft genommen wird. Der Verteidiger hat sich in der Zwischenzeit mit den Vorwürfen befasst. Er hat seinen Mandanten gehört, mit der Staatsanwaltschaft gesprochen, Akteneinsicht beantragt und idealerweise erhalten oder doch zumindest mündlich erfahren, aufgrund welcher Beweislage welcher konkrete Tatvorwurf erhoben wird.

Wegen der Kürze der Zeit wird es im Vorführtermin weniger um die Tat in allen Einzelheiten gehen. Vielmehr dreht sich die Erörterung um die Frage, ob die vom Gesetz für die Untersuchungshaft geforderten Voraussetzungen vorliegen.

Bei diesen handelt es sich einmal um den dringenden Tatverdacht. Hinzukommen müssen die dort aufgezählten Haftgründe – der bedeutendste von ihnen dürfte Fluchtgefahr sein.

In unserem Fall legt sich der Anwalt für den Gärtner mächtig ins Zeug. Er führt an, dass es in Zeiten des Internets keines Fachmanns mehr bedürfe, um sich über Pflanzengifte schlauzumachen. Und dass es sich bei dem Gärtner um einen berechtigten Spurenleger handele, da er sich um die Pflanzen im Wintergarten kümmere, sodass das Auffinden von DNA im Wohnbereich der Villa seinen Mandanten nicht belaste.

Nachdem er den dringenden Tatverdacht auf diese Weise angegriffen hat, führt der Verteidiger darüber hinaus an, dass der Gärtner mit Ehefrau, Kind und Eigenheim so fest in seinem sozialen Umfeld verankert sei, dass keine Fluchtgefahr bestehe. Auch die weiteren Haftgründe seien nicht gegeben.

Bescheren wir dem Verteidiger und seinem Mandanten ein Erfolgserlebnis: Der Verteidiger überzeugt das Gericht – am Ende des Termins kommt unser Gärtner frei.


Doch damit ist er natürlich nicht vom staatsanwaltlichen Haken. Er gilt noch immer als Beschuldigter, das Damoklesschwert einer späteren Verurteilung schwebt weiterhin über seinem Kopf. Aber erst einmal darf der Gärtner nach Hause.


Der Verteidiger beantragt erneute Akteneinsicht. Als er sie erhält, liegt das toxikologische Gutachten vor. In Übereinstimmung mit den Symptomen und den gefundenen chemischen Substanzen gehen die Rechtsmediziner und infolgedessen auch die Ermittler davon aus, dass die alte Dame mit Teilen einer Dieffenbachie vergiftet wurde. Diese beliebte Zimmerpflanze befand sich im Wintergarten des Opfers.

Also war es doch der Gärtner?


Im folgenden Besprechungstermin von Verteidiger und Gärtner erinnert sich letzterer an ein Gespräch zwischen ihm und seiner Arbeitgeberin, in dem es einige Wochen vor dem tragischen Tod um die Gefährlichkeit dieser Pflanze ging.

Die alte Dame hatte keine Ahnung von der Toxizität und ließ sich ausführlich darüber aufklären. Unmittelbar danach betrat die Nichte der alten Dame den Wintergarten. Gut möglich, dass sie das Gespräch vom Wohnzimmer aus belauscht hat.

Dem Verteidiger stehen nun mehrere Möglichkeiten offen. Er kann sich sofort mit einem Hinweis an die Staatsanwaltschaft wenden. Denn – was der Allgemeinheit häufig nicht bekannt ist – das Gesetz verlangt, dass die Staatsanwaltschaft nicht nur belastende, sondern auch entlastende Umstände ermittelt. Man spricht insoweit davon, die Staatsanwaltschaft sei die objektivste Behörde der Welt.

Da es sich hierbei in der Praxis gelegentlich um nichts weiter als Wunschdenken handelt, ist der Verteidiger gut beraten, die Bemühungen der Staatsanwaltschaft ein wenig im Auge zu behalten und gegebenenfalls in eine bestimmte Richtung zu dirigieren, indem er eigene Beweisanträge stellt. Dazu ist er in jeder Lage des Verfahrens berechtigt.

Darf der Verteidiger ebenfalls eigene Ermittlungen anstellen? Diverse Anwaltsserien im deutschen Fernsehen vermitteln uns diesen Eindruck. Aber stimmt das auch?

Ja, grundsätzlich darf er das tatsächlich, wenngleich nur in den engen Grenzen, die ihm die Gesetze und nicht zuletzt das Standesrecht setzen. So darf er beispielsweise Kontakt mit Zeugen aufnehmen und diese auch befragen, doch darf er sie dabei selbstverständlich in keiner Weise beeinflussen oder gar bedrängen.

In unserem Fall entschließt sich der Verteidiger zunächst, auf der Suche nach weiteren Anhaltspunkten mit der Haushälterin zu sprechen. Er hat Glück. Die Frau berichtet ihm, dass das Verhältnis zwischen der alten Dame und der Nichte nicht mehr harmonisch war, seit die Dame ihrer Nichte den Geldhahn zugedreht hat. Die Haushälterin hatte einige Telefonate mitangehört. Zuletzt wollte sich die alte Dame um einen Notartermin bemühen, um ihr Testament zu ändern. Diese Erkenntnisse gibt der Verteidiger an die Staatsanwaltschaft weiter.

Die Staatsanwaltschaft verfolgt die Spur, die Ermittler der Kriminalpolizei finden heraus, dass die Nichte Geldsorgen hat. Eine Nachbarin der alten Dame konnte obendrein beobachten, wie sie am Tag der Tat das Grundstück betreten hat.

Die Nichte wird als Beschuldigte vernommen – und sie gesteht.


Da ein Geständnis nicht immer der Wahrheit entsprechen muss und zudem immer noch die Möglichkeit besteht, es zu widerrufen, werden die Ermittlungen trotz des Geständnisses fortgeführt, bis der gesamte Fall ausermittelt wurde.


Mit dem Abschluss der Ermittlungen muss der Staatsanwalt entscheiden, wie es rechtlich weitergeht. Hier stehen ihm theoretisch mehrere Optionen zur Verfügung. Er kann das Verfahren einstellen, weil sich kein hinreichender Tatverdacht gegen einen Beschuldigten ergeben hat. Bei minderschweren Delikten – natürlich nicht in unserem Fall einer vorsätzlichen Tötung – könnte er ferner einen Strafbefehl erlassen, das Verfahren gegen Auflagen einstellen oder auf den Privatklageweg verweisen.


Im vorliegenden Fall gelangt der zuständige Staatsanwalt zu der Überzeugung, dass ein hinreichender Tatverdacht vorliegt. Er fertigt eine Anklageschrift und reicht sie bei Gericht ein. Die beschuldigte Nichte wird jetzt zur Angeschuldigten, und sobald die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen ist, zur Angeklagten.


Die Hauptverhandlung beginnt mit der Feststellung der Anwesenheit der Verfahrensbeteiligten. Das sind Richter und gegebenenfalls Schöffen, die Angeklagte, Verteidiger, die Vertretung der Staatsanwaltschaft, eventuell der Nebenkläger und die Nebenklagevertretung. Außerdem anwesend sind ein Protokollführer, Zeugen, Sachverständige und die Öffentlichkeit in Form von Presse und Zuschauern.

Die meisten Verfahren in Deutschland sind öffentlich, wenige Ausnahmen gelten nur im Falle des Jugendstrafrechts zum Schutz des Angeklagten. In anderen Verfahren ist ein Ausschluss zum Schutz eines Zeugen möglich. Ein grundsätzliches Anwesenheitsrecht hat mithin jeder, mit der Einschränkung, dass Zeugen bis zu ihrer Aussage nicht im Saal warten dürfen.

Die Anklage wird verlesen, die Beweisaufnahme beginnt: Zeugen werden gehört, Gutachten und Sachverständige ebenfalls, es kann zu Ortsterminen kommen. Sofern sie das möchte, darf sich auch die Angeklagte äußern. Sie hat jedoch das Recht, zu schweigen. Ein Schweigen darf nicht gegen sie verwendet werden. Ebenso ist es ihr möglich, eine Erklärung über ihren Verteidiger abgeben zu lassen.

Wenn die Beweisaufnahme abgeschlossen ist, plädieren die Staatsanwaltschaft, der Nebenklagevertreter (sofern vorhanden) und die Verteidigung.

Das letzte Wort hat die Angeklagte.

Anschließend zieht sich das Gericht zur Beratung zurück.

Am Ende des Tages wird ein Urteil verkündet. Die Nichte wandert für viele Jahre hinter Gitter. Und der Gärtner? Er ist erleichtert, dass die Wahrheit dank seines engagierten Verteidigers ans Licht kam, und genießt seine Freiheit.
Disclaimer: Dieser Text soll lediglich eine anschauliche, literarische Einführung in die Thematik des Strafverfahrens und in die Arbeit des Strafverteidigers geben.  Die Autorin des Textes und ich übernehme keine Haftung für die Vollständigkeit und/oder die Richtigkeit der in dem Text genannten Informationen und rechtlichen Darstellungen und Aussagen. Der Text kann und soll keinesfalls eine rechtliche Beratung ersetzen. Benötigen Sie Beratung / Vertretung im Strafrecht, kontaktieren Sie eine Strafverteidigerin oder einen Strafverteidiger. Der Text dient lediglich der - unterhaltenden - Einführung in die Thematik.


Der Text "Es war der Gärtner" wurde von der Autorin Rana Wenzel erstellt.

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